Bewegung bewusst erleben
Die LWL-Uniklinik Hamm ist die Ursprungsstätte der deutschen Psychomotorik. Die Fachtherapie basiert auf der Erkenntnis, dass Seele und Körper eng verknüpft sind und sich gegenseitig positiv beeinflussen können.
Sport ist Sache des Körpers. Oder?
Inzwischen weiß man, dass das so nicht stimmt.
Es ist längst nachgewiesen, dass Bewegung ebenso die Gesundheit der Seele fördert. Jeder aktive Mensch kennt das Gefühl der Zufriedenheit unmittelbar nach dem Sport. Der Körper „bedankt“ sich mit Endorphinen, die Psyche freut sich. Ein Erfolgserlebnis. „Die Wirkung von Bewegung lässt sich aber nicht nur eindimensional betrachten“, erklärt Motologe Alexander Hetke, Leiter der Fachabteilung für klinische psychomotorische Therapie, kurz Psychomotorik.
„Wenn Bewegung begleitet und gezielt sowie dosiert eingesetzt wird, löst sie nicht nur ein positives Gefühl aus, sondern kann sogar Aggressionen abbauen, die Konzentration stärken, die Wahrnehmung fördern und die Aktivität steigern.“
sagt Alexander Hetke.
Was ist Psychomotorik?
Zwischen Befinden und Bewegung besteht ein enger Zusammenhang
Die LWL-Uniklinik Hamm hat diese Erkenntnisse in ein therapeutisches Konzept für psychisch kranke Menschen überführt. Der Begriff Psychomotorik selbst betont es schon: Zwischen Befinden und Bewegung besteht ein enger Zusammenhang. Diese Verknüpfung ist in jedem Menschen angelegt. Der Körper ist von Kindesbeinen an das wichtigste Ausdrucksorgan des Menschen. Über Bewegung lernen wir das erste Mal, die Welt zu erkunden und Hindernisse zu überwinden, erleben so also auch unsere ersten Erfolge. Durch Bewegung baut sich das Selbstbewusstsein auf. Und das hilft im späteren Leben, selbstsicher auf andere zu- und mit Konfliktsituationen umzugehen.
Bei Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen ist dieses Selbstbewusstsein oft verloren gegangen oder gestört. Um es Schritt für Schritt wieder aufzubauen, eignet sich die Psychomotorik besonders gut als Therapieform. Begleitend zu den sonstigen Therapieangeboten nehmen die Patientinnen und Patienten an diesem Bewegungsprogramm teil, überwiegend in spezifisch zusammengestellten Therapiegruppen.
Was steht im Therapieplan der Psychomotorik?
Der Therapieraum wird zu einer riesigen Bewegungslandschaft umgebaut, oder es wird ein großes Luftkissen, das Airtramp, eingesetzt. Die ständig wackelnde und federnde Oberfläche animiert die Kinder und Jugendlichen, sich frei zu bewegen und dadurch neue Körpererfahrungen zu sammeln.
Mit Hilfe des Kissens kann suchtkranken, ess- oder aufmerksamkeitsgestörten Kindern und Jugendlichen gezielt dabei geholfen werden, im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Zum Beispiel, wenn die Luft aus dem Airtramp abgelassen wird: Die Patientinnen und Patienten versuchen dann stehen zu bleiben, indem sie intuitiv die Bewegungen ausgleichen. Der Kontakt zum eigenen Körper und die Wahrnehmung der Lage im Raum spielen dabei eine zentrale Rolle.
„Sie machen auf der weichen, nachgiebigen Oberfläche aber auch die Erfahrung, hinzufallen und loszulassen. Das kann Ängste verringern und Spannungszustände lösen. Wenn sie sich in einer Gruppe auf dem Airtramp befinden, müssen sie sich zudem achtsam bewegen und die Bedürfnisse anderer wahrnehmen, um diese nicht zu gefährden.“
Ziel: Positive Erlebnisse ohne Leistungsdruck
Die Bewegung wird mit Musik, Entspannung, Spiel und Spaß verbunden, aber auch mit Aufgaben, die die Konzentration und Wahrnehmung fördern. Die Psychomotorik schafft positive Erlebnisse ohne Leistungsdruck für die Patientinnen und Patienten.
Mit neuem Selbstbewusstsein in Kontakt zu anderen treten
Damit verbessert sich zugleich das Selbstbewusstsein der jungen Patientinnen und Patienten. Sie erleben in der Psychomotorik wieder Erfolge, merken, dass ihre Anstrengungen sie weiterbringen und finden dadurch besser Kontakt zu anderen. Und sie werden angespornt, ihren Weg fortzusetzen.
Psychomotorik in der Universitätsklinik Hamm
Die Psychomotorik wurde in Hamm seit den 1960er Jahren vom Diplomsportlehrer und späteren Hochschullehrer Prof. Dr. Ernst Jonny Kiphard in Zusammenarbeit mit dem ersten Chefarzt der Klinik, Dr. Helmut Hünnekens, entwickelt. Der langjährige Leiter der Fachabteilung, Horst Göbel, führte die Therapieform mit seinem Team von einer psychomotorischen Übungsbehandlung zur einer klinischen psychomotorischen Therapie weiter.
1976 wurde der „Aktionskreis Psychomotorik“ gegründet, der noch heute der größte Fortbildungsanbieter in dem Bereich in Deutschland ist. Aus der Klinik heraus sind zudem die anerkannten Berufsausbildungen zur Motopädie und das Studium zum Motologie entstanden.